Eine Glosse von Herbert Bohlscheid
Manchmal frage ich mich, welcher Teufel mich geritten und dazu gebracht hat, im hohen Alter das Akkordeonspiel anzufangen. Eigentlich hätte ich mich doch daran erinnern müssen, dass ich früher schon einmal mit einem Schreibmaschinenkurs an der Volkshochschule kläglich gescheitert bin. Und da war ich doch noch deutlich jünger – nämlich jugendliche 22 Jahre (Für alle, die nach Bill Gates [1] und Steve Jobs [2] geboren wurden, ist an dieser Stelle vielleicht der klärende Hinweis angebracht, dass die heute fast ausgestorbene Schreibmaschine so etwas wie ein Computer und ein Drucker in einem Gerät war).
200 Anschläge pro Minute? Die alte Torpedo
Gut – der Vergleich Akkordeon / Schreibmaschine hinkt vielleicht ein wenig. So hat mein Hohner Atlantic-Akkordeon exakt 202 Tasten (wenn ich jetzt mal unfachmännisch die Bassknöpfe, die Registerschalter und – nicht zu vergessen – den Luft-aus-dem-Balg-lassen-Knopf auch als „Tasten" bezeichnen darf). Eine durchschnittliche Schreibmaschine bringt es dagegen nur auf rund 50 Tasten (und da ist der Hebel für den Wagenrücklauf
[3] schon eingerechnet). Aber um so mehr hätte ich doch gewarnt sein müssen. Wer wie ich schon an der „Grundstellung“
[4] und der Tastenfolge „a s d f“ (linke Hand) und „j k l ö“ (rechte Hand) so jämmerlich gescheitert ist, der darf nicht erwarten, dass er beim „Zillertaler Hochzeitsmarsch“ die Töne in der richtigen Reihenfolge und der vom Dirigenten vorgegebenen Geschwindigkeit sowie dann auch noch im korrekten Rhythmus trifft.
Und was man beim Geschriebenen noch nachträglich mit „Tipp-Ex“
[5] oder einer Rasierklinge wegretuschieren kann, ist bei der Musik unmöglich. „wat fott es, es fott“, beschreibt der Rheinländer die Situation trefflich – eben waren die Töne noch zu hören, da sind sie auch schon verklungen. Aber auch bei der Geschwindigkeit, mit der man Schreibmaschine und Akkordeon beherrschen muss, ist der Akkordeonspieler deutlich im Nachteil. Glauben Sie nicht? Weil man in beiden Fällen die Tasten ganz schnell hintereinander drücken muss? Ha, stimmt schon. Aaaaber bei der Schreibmaschine ist das ganze Regelwerk doch etwas einfacher. Mal angenommen, jemand will zeigen, dass er mit der Schreibmaschine 200 Anschläge
[6] in der Minute schafft, dann kann er sich gut und gerne in den ersten 30 Sekunden Zeit lassen und vielleicht 20 Zeichen zu Papier bringen, was niemanden stört, wenn dann in den restlichen 30 Sekunden 180 Zeichen zu Papier gebracht werden – Mission erfüllt!
[7].
Machen Sie das mal in der Musik, vor allen Dingen wenn Sie im Orchester auf die Tasten hacken. Das funktioniert nicht, denn da hat der Komponist genau vorgegeben, wann wer hacken darf (obwohl es bei uns in der Gruppe ja auch den einen oder anderen geben soll, der einzelne Passagen langsamer als der Rest der Welt, andere Stellen dann um so schneller spielt. Hauptsache, man trifft sich am Ende gemeinsam wieder), wobei wir bei der Hohen Kunst des des Musizierens angekommen sind, dem gemeinsamen Akkordeon-Orchesterspiel.
Da ist der Musikus, beziehungsweise der, der sich für einen solchen hält, gegenüber dem „Typewriter“ in einer Schreibstube deutlich im Vorteil, was vor allen Dingen bei schnellen Läufen, also den „di-del-di-del-da-dios“
[8] (wenn Sie wissen, was ich meine“) bemerkbar macht. Da kann man sich den Spaß aufteilen, indem zum Beispiel der linke Spieler die ungeraden Noten (also die erste, dritte usw.) spielt und der rechte Nachbar die geraden Noten zu treffen versucht. Auch eine gängige Variante ist, dass der linke Spieler die Noten auf einer Notenlinie spielt, die Partnerin die Noten in den Linien-Zwischenräumen, was aber bei klein und eng geschriebenen Noten eine gewisse Sehschärfe bedingt, damit klar erkennbar ist, wer für welche Note verantwortlich zeichnet. Geteilte Leid ist halt auch beim Musizieren halbes Leid.
Ganz schön viele Tasten und Knöpfe: Hohner Atlantic.
Derlei Taktiken kommen vor allen Dingen uns Älteren sehr entgegen, sind doch die Finger längst nicht mehr so gelenkig wie einst, als wir Männer auch die kniffligsten BH-Verschlüsse in Bruchteilen einer Sekunde
[9] aufnesteln konnten.
Allerdings hat (quasi ausgleichend) das eigene Hörvermögen inzwischen auch nachgelassen, so dass einen selbst wenigstens die falsch gedrückten Tasten und die daraus resultierenden schrägen Töne nicht mehr stören.
Trotzdem: Wenn ich dann noch an den Kraftaufwand denke, der mit dem Ziehen und Drücken des Balgs
[10] verbunden ist, und andererseits weiß, dass die letzten Schreibmaschinen ihrer Art sogar elektrisch funktionierten, so dass der Typist nicht einmal den Papierbogen selbst einspannen oder die Wagenrücklauftaste betätigen musste, dann ist es wieder mal so weit, dass ich mich frage, welcher Teufel mich geritten hat, im hohen Alter noch mit dem Akkordeonspielen anzufangen.
Dia Antwort fällt mir dann spätestens bei der nächsten Orchesterprobe
[11] wieder ein:
Weil's Spaß macht!